Ehrengäste beim Fest-Präsidium des Bayerischen Bauernverbandes anlassläich 75 Jahre BBV.
© Anja Bach/BBV
Jubiläumsveranstaltung in Herrsching

Proklamation an des bayerische Landvolk

Gründung des Bayerischen Bauernverbands vor 75 Jahren

07.09.2020 | Kaum ein halbes Jahr nach dem Ende der Naziherrschaft wurde am 07.09.1945 mit der Proklamation an das bayerische Landvolk der Bayerische Bauernverband als Einheitsverband der bayerischen Landwirtschaft gegründet. Vieles aus der Gründungsurkunde ist heute noch so aktuell wie vor 75 Jahren:

Proklamation an das bayerische Landvolk

Die nationalsozialistische Herrschaft ist zu Ende.

Wir sind durch Lüge und Terror, durch ein Meer von Blut und Tränen hindurchgegangen. Aus freien Menschen wurden wir zu Hörigen eines Tyrannen und seiner Helfershelfer. Diese Tyrannei hat Schreckliches in unserem Volk und bei anderen Völkern angerichtet. In tiefer Wehmut beklagen wir die Opfer unserer heldenmütigen Soldaten, die Opfer des Luftkrieges, die Opfer in den Konzentrationslagern und gedenken all derer, die viel Leid ertragen mussten und müssen. Wir gedenken der Opfer, die die ganze Welt gebracht hat. Besonders schmerzlich lastet auf uns dabei der Gedanke, dass viele, und besonders trifft das auch auf unser Landvolk zu, ihr Leben für eine Sache hingeben mussten, die ihrer Weltauffassung direkt entgegengesetzt war. Die Verfolgung von Kirche und Religion traf gerade unsere Bauern und die Bauernfamilien aufs schmerzlichste; denn die ganze bäuerliche Arbeit ist im besonderen Maß auf der christlichen Lebensauffassung aufgebaut und der Bauer ist auf den Segen des Allmächtigen angewiesen.

Wir wollen in dieser Stunde auch der führenden Bauern gedenken, die während des nationalsozialistischen Regimes von uns für immer gegangen sind und die der Nationalsozialismus so sang- und klanglos dahingehen ließ. Besonders gedenken wir der großen Führer der bayerischen Landwirtschaft, die uns verlassen haben. Ihr Lebenswerk wird in der bayerischen und deutschen Landwirtschaft unvergessen bleiben und ihre Arbeit soll uns Ansporn sein, die Schwierigkeiten der Zeit zu meistern.

Die Erbschaft des Nationalsozialismus ist eine furchtbare. Hitler sagte bei der Machtübernahme, er habe einen Trümmerhaufen angetroffen. Wir wissen, was jetzt davon zu halten ist. Ein ungeheures Trümmerfeld hat Hitler uns zurückgelassen. Das Chaos, das wir Hitler verdanken, ist vom Nationalsozialismus geradezu planmäßig gewollt gewesen; denn Goebbels sagte einmal: „Wenn wir abtreten müssen, dann werden wir die Türen hinter uns zuschlagen, dass ganz Europa erzittert.“

Produktions- und Arbeitsstätten sind vernichtet, die Kohlenproduktion liegt darnieder, das Verkehrswesen ist erschüttert. Der Wiederaufbau des industriellen und gewerblichen Lebens steht vor kaum zu bemeisternden Schwierigkeiten. Unser Volksvermögen hat Milliardenverluste an seiner Substanz erlitten. Finanziell ist eine riesige Schuldenlast zurückgeblieben. Diese muss auch noch bereinigt werden. Wir werden noch den Pfennig umdrehen müssen, bevor wir ihn ausgeben.

Auch in unseren ländlichen Gemeinden ist zum Teil schwerer Schaden entstanden. Aber immerhin ist der landwirtschaftliche Grund und Boden zum Aufbau bereiter als wie es die Industrie sein kann. Die Landwirtschaft verfügt zum größten Teil -  natürlich abgesehen von den schweren Schadensgebieten - über die notwendige Substanz zum Wiederaufbau. Die größtmöglichste Förderung der Landwirtschaft muss daher unser Ziel sein, umso mehr, als wir jetzt mehr Leute auf unserem Boden ernähren müssen als zuvor.

Der Wiederaufbau der Landwirtschaft muss Hand in Hand gehen mit dem Wiederaufbau der industriellen und gewerblichen Zweige, die für die Produktion der Landwirtschaft und damit für den Wiederaufbau der Landwirtschaft arbeiten. Unserem landwirtschaftlichen Genossenschaftswesen fällt dabei eine große Aufgabe zu. Der auf der christlichen Grundlage der Gemeinschaftshilfe beruhende Raiffeisengeist muss stark vertieft werden. Dem Kapitalismus setzen wir den Sozialismus der Tat mit unserem landwirtschaftlichen Genossenschaftswesen entgegen.

Die nationalsozialistische Überorganisation in der Landwirtschaft ist zu beseitigen. In vereinfachter Form muss alles auf das Notwendige und Zweckmäßige eingestellt werden. Wo wir Korruption finden, werden wir sie schonungslos aufdecken. Für die Sicherung der Volksernährung muss alles geschehen. Ein harter Winter steht bevor. Zum Frieren darf unter keinen Umständen der Hunger kommen. Dem Schwarz- und Schleichhandel müssen unsere Bauern die Türen weisen. Die Ablieferungspflicht müssen wir erfüllen. Die Brot-, Kartoffel- und namentlich die Milch- und Fettversorgung muss sichergestellt sein. Einig und geschlossen wollen wir im Landvolk an die Arbeit gehen.

Die so oft versuchte Bauerneinigung wird jetzt geschaffen. Der neugegründete „Bayerische Bauernverband“ umfasst das ganze Landvolk ohne Unterschied der Religion und Rasse und ohne Unterschied ihrer Arbeit im einzelnen. Bauern, Dienstboten
und Landarbeiter sollen sich dem Verband anschließen.

Der Bauer will wieder ein freier Mensch werden auf eigener Scholle. Die Bauern wollen wieder mitreden bei der Gestaltung ihres Schicksals. Sie wollen nicht mehr kommandiert sein. Der große Erfolg der Bauerneinigung darf nicht durch parteipolitischen Hader gefährdet werden. In dieser schwersten Zeit unseres Vaterslandes können wir uns das nicht mehr leisten. Wir müssen eine festgefügte, geschlossene Front bilden. Die Vergiftung, die der Nationalsozialismus auch im Landvolk angerichtet hat, muss so rasch als möglich beseitigt werden. Wir brauchen eine starke Front nicht bloß für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, wir brauchen diese starke Front auch für die seelische Erneuerung unsere Volkes und unseres Bauerntums.

Besondere Fürsorge muss unserer Landjugend, unserem Nachwuchs gewidmet werden. Die Personenwürde muss wieder voll entstehen, der aufrechte Charakter muss wieder maßgebend sein. Führer soll in der Landwirtschaft nur der sein, der was leistet und geleistet hat. Eine wahre Rechtsordnung muss wieder entstehen. Ein doppeltes Recht kann es in Zukunft nicht mehr geben. Die innere Freiheit auf der Grundlage der zehn Gebote muss erstehen. Die auf dem Unglauben beruhende nationalsozialistische Weltanschauung mit ihrer Rassenlehre und mit ihrem Ziel der Schaffung eines Herrenmenschentums muss verschwinden. Auch der preußische Militarismus darf nie mehr hochkommen.

Gerade unser bayerisches Landvolk war nie ein Freund dieses Militarismus gewesen. Unsere bayerische Eigenart wollen wir uns bewahren. Wir brauchen unsere bayerische Tradition nicht verleugnen und unsere bodenständige Gesinnung wollen wir auch von keinerlei Einflüssen evakuieren lassen.

Unsere Arbeit kann aber nicht gedeihen, wenn wir nicht Vertrauen schaffen. Vertrauen müssen wir zu uns selbst haben, aber auch das Vertrauen anderer zu uns muss erworben sein. Unser ganzes Volk braucht letzten Endes wieder Vertrauen auch der anderen Völker zu uns. Das wird eine der schwersten Aufgaben sein. Unser Bauernstand kann da vielleicht besonders mitarbeiten, denn der Bauer war von jeher der Bannerträger der inneren Freiheit. Achtung vor uns selbst müssen wir wieder haben. Wir müssen dann auch Achtung vor anderen Völkern haben, Meinungs- und Religionsfreiheit muss herrschen, den jetzigen Verhältnissen müssen wir Rechnung tragen, mit der Besatzungsmacht und der Militärregierung müssen wir vertrauensvoll zusammenarbeiten.

So wollen wir denn mit Gottvertrauen an unsere schwere Arbeit gehen.


München, den 7. September 1945


Der Bayerische Bauernverband

Die Vorstandschaft
Josef Sturm, Bauer in Gresslsbach b. Dingolfing, Konrad Frühwald, Bauer in Roßbach b. Neustadt a. d. Aisch,
Dr. Anton Fehr, Reichs- und Staatsminister a.D. in Lindenberg/Allgäu,
Dr. Michael Horlacher, landwirtschaftlicher Genossenschaftsdirektor, Bad Tölz,
Generalsekretär: Dr. Alois Schlögl, München, Bauerstraße 19.

Weitere Gründungsmitglieder:
Paul Baumann, Bauer in Unteraich/Landkreis Nabburg, Dr. Josef Baumgartner in Sulzemoos,
Rupert Bichler, Bauer in Feldkirchen b. Westerham, Georg Frhr. v. Franckenstein, Gutsbesitzer in Ullstadt,
Georg Gehring, Bauer in Oberspießheim/Ufr.  Klier in Regensburg, Kumpfmühlerstr. 34/0,
Landesökonomierat Georg Kropp, Würzburg, Steinbachtal 28,
Georg Kurzenberger, Bauer in Roggersdorf, Post Holzkirchen,
Philipp Lichti, Landwirt in Herrlehof, Post Nordendorf, Josef Mai, Direktor, Würzburg,
Dr. Wilhelm Niklas, Ministerialrat, Fischbachau, Josef Nieberle, Bauer in  Weigersdorf b. Eichstätt,
Josef Pichel, Bauer in Mainburg/Hallertau, Ernst Rattenhuber, Staatsrat und Landwirt in Englschalking,
Franz Wittmann, Saatgutzüchter in Oberhaunstadt.