ALDI schmeißt mit Werbegeld um sich und knausert beim Tierwohl
Krisenstallgespräche
Vollmundig und mit großen Anzeigen kündigt der Lebensmitteldiscounter ALDI aktuell einen „#Haltungswechsel“ für mehr Tierwohl an. Frischfleisch soll bis 2030 nur noch aus den Haltungsformen 3 und 4 kommen. Zusätzlich hat ALDI vor wenigen Tagen angekündigt, dass bei Eigenmarken künftig keine Frischmilch aus Haltungsform 1 mehr verkauft werden soll. Betroffen wären insbesondere kleinere Milchbauern in ganz Süddeutschland. Während Politik und Bauernverbände in Bayern und Baden-Württemberg in den letzten Jahren gemeinsam an Wegen gearbeitet haben, damit genau diese Betriebe ihre Tierhaltung Schritt für Schritt weiterentwickeln können, hat ALDI nun seine Machtposition ausgenutzt. Der Handelskonzern stellt Bäuerinnen und Bauern einmal mehr vor vollendete Tatsachen und gefährdet damit die regionale Landwirtschaft: „Die Standards in Sachen Tierwohl steigen. Doch die Frage, wer die damit verbundenen Kosten trägt, ist offen. Die Existenz hunderter bäuerlicher Familienbetriebe im Landkreis Landshut steht auf dem Spiel, sollten Aldi und der Lebensmitteleinzelhandel nicht den vollen finanziellen Aufwand plus Gewinnanteil für den zusätzlichen Aufwand ausgleichen“ ist sich Georg Sachsenhauser, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes in Landshut sicher. Es müsse auch ein fester Grundpreis vereinbart werden, der nicht unterschritten werden darf. Der Grundpreis müsse jährlich an die Inflation angeglichen werden.
Unter dieser Vorgabe trafen sich die Kreisobmänner und Kreisbäuerinnen der Landkreise Landshut und Kelheim am Betrieb von Martin Hohenester in Geisenhausen-Haunersdorf. Am Betrieb Hohenester werden in einem neu erbauten Milchviehstall 120 Milchkühe gehalten. Obwohl sich die Tiere im Stall frei bewegen können, ihnen den ganzen Tag nach ihren Bedarf Futter und Trinkwasser zur Verfügung stehen, kann er Milch und Rindfleisch nur nach Haltungsstufe 1 vermarkten. Eine Umstellung auf Haltungsstufe 3 würden derzeit höhere Baukosten verursachen als der Neubau des Milchviehstalles vor wenigen Jahren gekostet hat. Weder ALDI noch den anderen Lebensmitteleinzelhandelskonzerne sind derzeit bereit für die Erzeugung in Betrieben mit höheren Haltungsstufen auch höhere Einkaufspreise über die Molkereien und Schlachthöfe zu zahlen. „Würden unsere Molkerei und Schlachthof auf die Haltungsform 3 oder 4 in unseren Betrieb bestehen ohne die Mehrkosten auszugleichen, so könnten wir nicht mehr weiterwirtschaften und müsste unsere Milchviehhaltung aufgeben“ bedauerte Martin Hohenester die Werbekampagne von ALDI. Dabei handelt es sich beim Betrieb Hohenester um einen größeren, modernen Betrieb. In den Landkreisen Landshut und Kelheim beträgt der durchschnittliche Bestand 37 Milchkühe pro Betrieb, überwiegend in der Haltungsform 1.
Nach zweijährigen Verhandlungen über ein branchenweites Tierwohlprogramm für Rindfleisch und Milch haben die Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels zuletzt einen umfangreicheren Katalog an Tierwohlkriterien verhindert, da sie den Kostenausgleich für die Landwirte nicht bezahlen wollten. „Gleichzeitig sind aber anscheinend riesige Werbebudgets vorhanden. Das passt einfach nicht zusammen!“, erklärt Angelika Graf, Kreisbäuerin und fordert von Aldi eine angemessene Honorierung von Tierwohl, die Berücksichtigung der besonderen Situation kleinerer Betriebe sowie Einbeziehung aller Marktsegmente in Tierwohlprogramme, aber dafür schrittweise Entwicklungen und mehr Nebeneinander der verschiedenen Haltungsformstufen. Obwohl die landwirtschaftlichen Nutztiere in allen Haltungsformen in Deutschland nach weit höheren gesetzlichen Vorgaben gehalten werden, als in anderen europäischen Ländern und dem Rest der Welt, kämpft der deutsche Lebensmitteleinzelhandel auf den Rücken der landwirtschaftlichen Betriebe mit Sonderpreisaktionen und undefinierten Werbekampanien um jedes Prozent mehr am Marktanteil. Da viele unsere landwirtschaftlichen Betriebe bei diesem Preisdruck einerseits und den steigenden gesetzlichen Anforderungen andererseits nicht mehr mithalten können, werden nicht nur kleinere, sondern auch größere Familienbetriebe aufgegeben und der Strukturwandel in der Landwirtschaft verstärkt. Der Erhalt unserer landwirtschaftlichen Familienbetriebe ist nur mit der wirtschaftlichen Vermarktung ihrer Produkte über alle Absatzwege, auch dem Lebensmitteleinzelhandel möglich, wenn die regionalen Produkte nachgefragt und auch ein höherer Preis für höhere Anforderungen gezahlt wird, waren sich die Vertreter des Bauernverbandes bei diesem Betriebsbesuch einig.
Daten und Fakten
Landwirtschaftliche Betriebe im Landkreis Kelheim mit Milchviehhaltung 139 mit 4.945 Milchkühe
Landwirtschaftliche Betriebe im Landkreis Landshut mit Milchviehhaltung 437 mit 16.150 Milchkühe
Jährlicher Rückgang der Milchviehhalter um 6 %. Die Wachstumsschwelle liegt derzeit bei 74 Kühe je Betrieb, d.h. starker Rückgang bei Betrieben unter 74 Kühe, leichter Anstieg der Betriebe mit mehr als 74 Kühe im Bestand.
Haltungsformen bei Milch und Rinderhaltung
Haltungsform 1 – „Stallhaltung“ - Ganzjährig Stallhaltung
Haltungsform 2 – „StallhaltungPlus“ – Ganzjährig Stallhaltung mit Laufstall oder saisonaler Weidehaltung
Haltungsform 3 – „Außenklima“ – Ganzjährig Stallhaltung mit Freiluftlaufstall oder Weidegang
Haltungsform 4 – „Premium“ – Ganzjährig Freilaufstall und Weidegang
Weitere Aktionen: https://www.bayerischerbauernverband.de/haltungswechsel