Düngeverordnung: "Berlin schläft und die Angeschmierten sind wir Bauern"
Walter Heidl kritisiert angekündigte Ausweitung von roten und gelben Gebieten
Herr Heidl, die EU-Kommission ist nach wie vor nicht zufrieden mit der deutschen Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie. Wo stehen wir gerade im Verfahren mit der EU Kommission?
Heidl: Im aktuellen Streit geht es nach wie vor um das Urteil des Europäischen Gerichtshofes von 2018 – und da ging es um die alte Düngeverordnung aus dem Jahr 2006. Der springende Punkt ist für mich: Die Bundesregierung hat es bislang nicht fertig gebracht, die Kritik aus Brüssel in eine rechtskonforme Umsetzung der Düngeverordnung zu übersetzen. Mit der Fassung 2017 nicht und mit den überarbeiteten Regeln, die nun seit 2020 gelten auch nicht.
Warum hat die EU-Kommission darauf nicht früher aufmerksam gemacht?
Heidl: Ich weiß nicht, was zwischen Brüssel und Berlin tatsächlich besprochen wurde. Aber immer deutlicher wird, dass entweder die Kommission oder die Bundesregierung nicht aufrichtig war: Sogar 2020 hat man noch versucht zu beschwichtigen und den Bundestag informiert: „Die Europäische Kommission hat mitgeteilt, dass sie die Vorschläge der Bundesregierung akzeptiert.“ Die Bundesländer haben daraufhin in einem Kraftakt neue Gebietskulissen ausgewiesen, zahlreiche Landwirte haben erst im Dezember erfahren, dass sie ab Januar 2021 völlig überzogene Auflagen einzuhalten haben. Doch da lief das zweite Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland bereits. Und beim zentralen Kritikpunkt der Kommission – dem unzureichenden Messstellennetz nämlich – hatte man bis dahin nichts unternommen. Und auch seither ist hier nichts passiert. Das ist für mich der Skandal!
Jetzt macht die EU-Kommission Druck: Anfang Februar will sie über rechtliche Schritte gegen Deutschland entscheiden, die Bundesregierung hat wohl zugesagt, dass bis Mitte Februar zusätzliche Risikogebiete ausgewiesen werden. Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Überrascht Sie das?
Heidl: Mich überrascht vor allem, dass die Bundesregierung weiter im Tiefschlaf war. Und das, obwohl die EU-Kommission ihre Kritik in einem Schreiben Mitte 2021 nochmal unterstrichen hatte. Doch wieder ist nichts passiert. Erst war der Wahlkampf wichtiger und dann hat die alte Bundesregierung das Problem einfach an die Ampelkoalition weitergereicht. Nun droht Brüssel mit hohen Strafzahlungen, wenn nicht schleunigst etwas passiert. Auch wenn wir Bauern wieder die Angeschmierten sind, hat das alles wenig mit der Landwirtschaft zu tun. Schuld ist vielmehr die Arbeitsverweigerung in Berlin.
Doch jetzt scheint die Bundesregierung ja zu reagieren?
Heidl: Berlin reagiert auf den Druck, aber das eigentliche Problem wird wieder nicht gelöst. Um Strafzahlungen zu vermeiden, hat die Regierung der EU gegenüber wohl zugesagt, die aktuelle landwirtschaftliche Bewirtschaftung bei der Ausweisung außen vor zu lassen und die emissionsbasierte Modellierung zu streichen. Hierzu muss die Bundesverwaltungsvorschrift angepasst und die Gebiete neu ausgewiesen werden. Grundlage für die Gebietsausweisung wären dann einzig und allein die Werte der Messstellen der Wasserwirtschaft. Und dieses Messstellennetz ist viel zu grobmaschig, die Auflagen weder verursachergerecht noch nachvollziehbar. Das hat die Kommission in einem Schreiben an den Bundesaußenminister vom 25.07.2019 auch nochmal klargemacht.
Welche Auswirkungen haben die geplanten Änderungen für die Landwirtschaft?
Heidl: Ersten Schätzungen zufolge ist bundesweit mit einer Verdoppelung der roten Gebiete zu rechnen. Für Bayern offenbart unsere Überprüfung der aktuellen roten Gebiete gravierende Mängel bei der Messnetzdichte oder auch beim Zustand und der Aussagekraft der Messstellen. Hier müssen Politik und Verwaltung erst ihre Hausaufgaben machen ansonsten führt eine rein messstellenbasierte Abgrenzung zu keiner nachvollziehbaren Kulisse und der Unmut der Landwirte wird wohl noch größer werden.
Was ist aus Ihrer Sicht jetzt zu tun?
Heidl: Wenn nun eine Anpassung der Bundesverwaltungsvorschrift sowie der Gebietskulissen vorgenommen wird, müssen dabei unbedingt all die Fehler und Defizite behoben werden. Die Abgrenzung der roten und gelben Gebiete muss endlich nachvollziehbar werden – für die EU-Kommission, aber auch für die Bäuerinnen und Bauern! Dafür muss ein ausreichend engmaschiges und fachlich geeignetes Messnetz aufgebaut werden. Zudem braucht es für die Ausweisung der Risikogebiete ein transparentes und wissenschaftlich anerkanntes Verfahren zur Regionalisierung und Binnendifferenzierung. Betriebe müssen die Möglichkeit bekommen, über einzelbetriebliche Daten eine gewässerschonende Wirtschaftsweise belegen zu können, um nicht zu Unrecht mit Auflagen belastet zu werden. Da eine Herausnahme von einzelnen Flächen im Rahmen der Modellierung nicht mehr möglich sein wird, muss entweder eine Ausnahme von Betrieben aus dem roten Gebiet oder zumindest eine Ausnahme für Betriebe von den Auflagen im roten Gebiet möglich gemacht werden.
Das alles sind ja Fragen der deutschen Umsetzung, zuständig sind damit Bund und Länder. Wie werten Sie die Rolle der EU-Kommission?
Heidl: Auch die EU-Kommission spielt eine zweifelhafte Rolle. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass ein Exempel am größten Mitgliedsstaat statuiert werden soll. Anders kann ich mir nicht erklären, wie Brüssel auf der einen Seite seit Jahren die deutsche Umsetzung der Nitratrichtlinie kritisiert, gleichzeitig aber zuschaut, wie man in Berlin weiter im Nebel stochert und die wahren Probleme weiter ungelöst bleiben. Die Leidtragenden sind die Bewirtschafter. Die EU-Kommission selbst hat deutlich gemacht, dass das spärliche Messnetz in Deutschland nicht ausreicht, um Auflagen so anzuwenden, dass das Wasser geschützt und Einschränkungen gleichzeitig nur dort gelten, wo sie auch angebracht sind. Sie darf der Verwaltung nicht durchgehen lassen, dass nun wieder auf zweifelhafter Basis zusätzliche Regeln erlassen werden, sondern muss die nötige Zeit einräumen, damit ein geeignetes Messnetz aufgebaut werden kann. Es ist auch Aufgabe der EU-Kommission, dafür Sorge zu tragen, dass Landwirte nicht ohne Sinn und Verstand belastet werden.
Wie will der Bauernverband darauf hinwirken, dass das wirklich auch so gemacht wird?
Heidl: Neben unserer politischen Arbeit werden wir weiterhin BBV-Mitglieder bei einer kritischen Prüfung der Gebietsabgrenzung sowie allen zur Verfügung stehenden juristischen Möglichkeiten unterstützen. Wir gehen davon aus, dass die bisher erstellten Gutachten und die im Dezember eingereichten Klagen nicht die letzten sein werden. Hier wurde bereits viel geleistet und erreicht. Auch weil damit zu rechnen ist, dass durch die neue Gebietsausweisung weitere Prüfungen nötig sein werden, haben wir die bewährte Zusammenarbeit mit einem hydrogeologischen Büro verlängert.