Senfkorn-Begeisterte
Doppelinterview: Bayerns evangelischer Landesbischof und Bayerns evangelischer Bauernpräsident im „Sonntagsblatt“
Herr Landesbischof Kopp, was schätzen Sie an der heimischen Landwirtschaft ganz besonders?
Christian Kopp: Eine meiner persönlichen Leidenschaften ist Kochen. Für mich gibt es fast nichts Entspannenderes, als mit regionalen Lebensmitteln schmackhafte Speisen für meine Frau und meine Familie zuzubereiten. Ich esse auch gern. Lebensmittel fallen aber nicht vom Himmel, die werden von fleißigen Menschen in der bayerischen Landwirtschaft produziert und ermöglicht. Dazu kommt die wunderbare Kulturlandschaft, die wir hier in Bayern haben. Landschaft braucht aber Gestaltung, damit sie gepflegt aussieht und blüht und Ernte bringt. Das machen motivierte Landwirtinnen und Landwirte.
Und umgekehrt, Herr Felßner, was schätzen Sie in Bayern an der Kirche ganz besonders?
Günther Felßner: Im Mai haben wir 75 Jahre Grundgesetz gefeiert. Die in unserem Grundgesetz verankerten Werte sind christliche Werte. Diese Werte halten unsere Gesellschaft zusammen. Die beiden großen Kirchen in Bayern haben den Auftrag, diese Werte in einer säkularen Welt hochzuhalten. Außerdem leistet die Kirche einen wichtigen Beitrag am Mitmenschen. Sie setzt sich für Menschen ein, die Hilfe brauchen oder benachteiligt sind. Viele soziale Einrichtungen sind in kirchlicher Trägerschaft.
Es gibt etwas, das sowohl die Landwirtschaft als auch die Kirche erleben: die Entwicklung hin zu größeren Einheiten. Welche Herausforderungen sind damit verbunden?
Kopp: In vielen Bereichen müssen wir in der Kirche umdenken, weil sich die Gesellschaft und das Verhalten von Menschen verändern. Wir haben seit Jahren eine sinkende Mitgliederzahl, und gleichzeitig sind wir mittendrin im Fachkräftemangel. Wir kommen also gar nicht darum herum, größere Einheiten zu bilden. Da werden dann Wege länger, und das ist grundsätzlich immer anstrengender als kurze Wege und ein kurzer Draht etwa zur Pfarrerin vor Ort. Darum braucht es gute Ideen und kreative Lösungen, damit wir auch in größeren Räumen nah bei den Menschen und für die Menschen da sind.
Felßner: Wenn die landwirtschaftlichen Einheiten größer werden, gibt es insgesamt weniger landwirtschaftliche Betriebe. Es geht eine breite Eigentumsstruktur und Vielfalt verloren. Größere Betriebe sind oft nicht mehr so stark im Dorf und im Dorfleben verankert. Damit gehen ländliche Gemeinschaft und sozialer Zusammenhalt verloren und oft auch Verständnis. Für die Betriebe selbst ist Wachstum oft damit verbunden, dass die Familie die Arbeit nicht mehr leisten kann und Mitarbeiter eingestellt werden müssen. Damit stehen dann Fragen an, die passenden Mitarbeiter zu finden, zu führen und zu halten.
Gibt es auch Chancen in dieser Entwicklung?
Felßner: Größere Betriebe können effizienter produzieren und damit ihre Produktionskosten senken. Außerdem sind Investitionen in moderne Maschinen und Technologien leichter finanzierbar und rentabler. Für einen größeren Betrieb ist es auch leichter, die nächste Verarbeitungsstufe in den Betrieb zu integrieren, zum Beispiel eine Käserei oder einen Schlachthof am Hof zu bauen, und damit mehr Wertschöpfung zu erzielen. Wenn größere landwirtschaftliche Betriebe nicht nur auf einen Betriebszweig setzen, sondern auf verschiedene Kulturen und Betriebszweige, auf Lebensmittel-, Energieerzeugung, Biodiversität und Dekarbonisierung, dann mindert das außerdem ihr Risiko.
Und welche Chancen sehen Sie, Herr Kopp?
Kopp: Wenn sich etwas grundlegend verändert, müssen vor Ort das bisherige Angebot und die bisherigen Strukturen angeschaut werden. Ich erlebe, dass viele Mitarbeitende jetzt sehr genau hinsehen: Was brauchen die Menschen hier von der Kirche vor Ort, und was führen wir weiter? Welche Ideen und Angebote haben ihre Zeit gehabt, und wir beenden diese jetzt, um wieder mehr Platz und Ideen für Neues zu bekommen? Mir ist vor allem wichtig, dass wir unsere Zuversicht und die grenzenlose christliche Hoffnung bei allen Zukunftsfragen nie verlieren.
Kirche als Brücke zwischen Stadt und Land
Klimawandel und Krieg: Viele Menschen sind verunsichert oder unzufrieden. Was kann Menschen in dieser Situation stärken?
Kopp: Beten. Sich auf das konzentrieren, was einen trägt und glücklich und zufrieden macht. Das Allermeiste im Leben auf der Welt kann niemand von uns beeinflussen. Das Leben lebt sich, und vieles passiert einfach. In meinem Leben hilft es mir, dass für mich der christliche Glaube Stütze und Halt ist. Ich bete viel und meditiere täglich. Und konzentriere mich in meinem Leben und Reden auf das, was mich und andere tragen kann, was mein Leben erfüllt und bereichert. Ich habe mit der Muttermilch die Dankbarkeit als einen der größten Schätze des Lebens aufgesogen. Und diese Dankbarkeit erfüllt und trägt mich.
Felßner: Verunsicherung oder Unzufriedenheit entstehen oft aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus, wenn ich den Eindruck habe, dass ich keinen Einfluss habe auf Entscheidungen, die mich im Alltag betreffen. Hier hilft es meines Erachtens, selbst Verantwortung zu übernehmen und Gesellschaft mitzugestalten. Wenn ich beispielsweise ein Amt in der Kommunalpolitik oder ein Ehrenamt in einem örtlichen Verein übernehme, dann habe ich die Möglichkeit, über das, was in meinem Dorf oder Landkreis geschieht, mitzuentscheiden, es mitzuprägen.
Beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg im vergangenen Jahr hat es Zoff gegeben, weil in den Gemeinschaftsquartieren erstmals ausschließlich vegetarisches Frühstück ausgegeben wurde. Nicht nur die bayerischen Metzger hat das auf die Palme gebracht, sondern auch den BBV. Sie, Herr Felßner, haben sich gegen Bevormundung beim Essen ausgesprochen. Ist der Konflikt inzwischen beigelegt?
Felßner: Wir haben das einseitige Ernährungskonzept des Kirchentags nicht verstanden. Es geht uns um Wahlfreiheit beim Essen und um eine nachhaltige und möglichst vielfältige Ernährungsgrundlage. Wir wünschen uns, dass die Menschen dabei nicht bevormundet werden. Bäuerinnen und Bauern arbeiten in Kreisläufen und erzeugen auf diese nachhaltige Weise regionale Lebensmittel. Das bedeutet: Nur über Tierhaltung lassen sich Wiesen, Weiden oder Reststoffe, die bei der Erzeugung von pflanzlichen Lebensmitteln entstehen, nutzen. Unsere Sichtweise haben wir im April in einem offenen und konstruktiven Gespräch mit der Kirchentags-Generalsekretärin erklären können. Die Einladung, diesen Sachverhalt darzustellen, nehmen wir gerne an.
Ist der Fleischkonflikt vom Kirchentag exemplarisch für eine wachsende Entfremdung? Herr Kopp, wie entsteht der verbreitete Eindruck, dass die Öko-Landwirtschaft heute der evangelischen Kirche die lieberen Bauern sind im Vergleich zur »konventionellen« Landwirtschaft?
Kopp: Diesen Eindruck kann ich nicht wahrnehmen. Die ökologische Landwirtschaft hat viele gute Impulse gegeben für Ernährung und auch für die Gestaltung des Landes. Und gleichzeitig bringen alle Landwirtinnen und Landwirte insgesamt viele Impulse für das Zusammenleben und das gute Leben in Bayern.
Herr Felßner, hat Ihre Kirche, die immer grüner und immer städtischer daherkommt, die Bauern – nicht zuletzt die »konventionellen« – eigentlich ausreichend im Blick? Der Verdruss aufseiten der Bauern über »ihre« Kirche scheint nach unserem Eindruck zuzunehmen, stimmt das?
Felßner: Die Kirche ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Immer weniger Pfarrer haben – anders als früher – einen Bezug zur Landwirtschaft. Kirche hat die Aufgabe, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen.
Ein Stadtpfarrer muss sicherlich andere Angebote machen als ein Pfarrer in einer Landgemeinde, das schon. Ich sehe jedoch die Chance und Aufgabe der Kirche auch darin, eine Brücke zwischen Stadt und Land zu schlagen. Und den Gläubigen auch den Blick dafür zu weiten, was Lebensmittelsicherheit, wie wir sie bisher gewohnt sind, bedeutet und welchen wertvollen Beitrag die bäuerlichen Familienbetriebe für die regionale Versorgung leisten. Und da mache ich keinen Unterschied zwischen konventioneller und Öko-Landwirtschaft.
Herr Kopp, welche Priorität haben für die bayerische Kirche die Bauern in Zukunft, konkret beispielsweise in der landwirtschaftlichen Familienberatung und ähnlichen Bereichen?
Kopp: Uns ist das Engagement für die Landwirtschaft als evangelische Kirche sehr wichtig. Gerade in der Beratung und der Bildungsarbeit wollen wir da auch in Zukunft unseren Beitrag bringen.
Gibt es etwas, Herr Landesbischof, was sich die Kirche von den Bauern wünscht? Gibt es umgekehrt, Herr Präsident, etwas, das sich die Bauern von der Kirche wünschen?
Kopp: Die evangelische Kirche lebt vom Engagement ihrer Mitglieder. Ich wünsche mir, dass sich die Bäuerinnen und Bauern wie bisher in den Kirchengemeinden mit ihrem Knowhow und ihrem Engagement einbringen.
Felßner: Die Bauernfamilien wünschen sich von der Kirche, dass sie komplexe Debatten mitgestaltet, statt sich dem viel zu einfachen Schwarz-Weiß-Denken hinzugeben. Dass sie in der öffentlichen Diskussion so an der Seite der Bauernfamilien steht und es sich eben nicht zu einfach macht. Landwirtschaft steht in dauerhaften Veränderungsprozessen. Hier kann Kirche Orientierung und Halt in Lebensfragen geben.
Die Bibel ist voll mit Geschichten und Gleichnissen aus dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft. Was spricht Sie da am meisten an – und warum?
Kopp: Die ganze biblische Welt ist geprägt von den Bildern aus der Natur, der Schöpfung, dem von uns heute so genannten ländlichen Raum. Dort findet Jesus seine Bilder für das Leben von Christinnen und Christen. Am ausdrucksstärksten sind für mich die Wachstumsgleichnisse: Wie der Sämann sät und die einen Samen fallen auf fruchtbaren Boden und die anderen auf karge Erde. Oder das Gleichnis vom Senfkorn, wo aus einem winzigen Anfang Großes entsteht. Das ist auch mein Hochzeitsspruch – und so kann es in jedem Leben kommen.
Felßner: Auch bei mir ist es so: Das Gleichnis vom Senfkorn, einem kleinen Samen, der zu einem großen Baum heranwächst, in dem sogar die Vögel nisten können, spricht mich an. Als Landwirt finde ich es immer wieder begeisternd, dass in einem Samen alles angelegt ist, dass eine Pflanze daraus wachsen kann. Im übertragenen Sinn heißt das für mich, in die Themen, die mir als Verbandsvertreter wichtig sind, zum Beispiel Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln und Energie, hineinzusäen. Diese Saat mag am Anfang klein aussehen, das Wachstum braucht Geduld, aber der Same wird aufgehen und zu einem großen Baum werden, und andere werden früher oder später davon profitieren.
Die Fragen stellten Peter Schlee von der Evangelischen Fachstelle für Ländliche Räume und Markus Springer, Redakteur für Kultur, Medien und Netzwelten beim Sonntagsblatt.
Zur Person: Bauernsohn und Bischof
Christian Kopp, 59 Jahre, kommt aus einem landwirtschaftlichen Betrieb in der Oberpfalz, seine Mutter aus einer Baumschule in Memmingen. In Regensburg geboren, ist er im Raum Nürnberg und in Garmisch-Partenkirchen aufgewachsen. Seine beruflichen Stationen in Bayern lagen im Wesentlichen im Großraum Nürnberg und in Oberbayern.
Zur Person: Evangelischer Bauernchef
Günther Felßner, 57 Jahre, evangelisch, bewirtschaftet mit seiner Familie im Laufer Stadtteil Günthersbühl einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 160 Hektar Grünlandwirtschaft, Ackerbau, Rinderhaltung, Wald und Photovoltaik. Nach seiner landwirtschaftlichen Lehre studierte er Landwirtschaft an der FH Triesdorf. Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich Felßner im Bayerischen Bauernverband (seit Oktober 2022 als dessen Präsident), außerdem ist er CSU-Stadt- und Kreisrat.